Auf der Spur des Lebens

Das Büro von Laura Heinen lässt erahnen: Hier ist kürzlich jemand eingezogen. Wir finden uns in einem luftigen Raum mit großer Fensterfront. Ein großer Schreibtisch, der lediglich mit Telefon und Computer ausgestattet ist, steht vor leeren Wandregalen mit viel Platz für die Zukunft. Auf der Fensterbank: Ein widerstandsfähiger Drachenbaum, der auch größere Durststrecken eines Umzugs aus dem Ausland anstandslos überdauert. Mag einem der Raum etwas karg und spartanisch vorkommen, strahlt die junge Frau, die einem am Tisch gegenübersitzt, etwas sehr Anderes aus: ein neugieriges Leuchten in den Augen und ansteckender Enthusiasmus, wenn sie von ihrer Forschung erzählt.

Die Chemikerin ist jüngst ans DWI – Leibniz-Institut für Interaktive Materialien gekommen und hat hier ihre unabhängige Forschungsgruppe gegründet. Nach ihrem Postdoc-Aufenthalt in Groningen (Niederlande) widmet sie sich von nun an der Entwicklung sogenannter systemischer Materialien. Dabei liegt ihr derzeitiger Fokus auf energieautarken und metabolisch aktiven Materialsystemen.

Verstehen, wie das Leben funktioniert

Bereits während ihrer chemischen Ausbildung an der RWTH Aachen richtete die gebürtige Rheinländerin ihren Weg in diese Richtung aus: „Ich war schon früh fasziniert von der Komplexität lebender Systeme. Lebensähnliche Funktionen erfordern von einem Material dynamisch zu sein, sich selbst zu regulieren und Reaktionen über einen bestimmten Zeitraum aufrechtzuerhalten. Für mich ist der offensichtlichste Grund, warum dies in natürlichen Systemen so beispiellos gelingt, dass sie außerhalb des thermodynamischen Gleichgewichts funktionieren. Sie verarbeiten Informationen auf verschiedenen Ebenen“, erklärt sie.

Gerade deshalb sind für sie biologische Systeme allen vom Menschen geschaffenen Nicht-Gleichgewichtssystemen weit überlegen: Sie sind mit einem vollwertigen Stoffwechsel ausgestattet und werden von einem nur schwer fassbaren informationellen Subsystem gesteuert. Mit ihrer Forschung will sie diese Lücke schließen: Ihr Ziel ist es, weiche Materialsysteme zu entwickeln, die mit einem minimalen Stoffwechsel ausgestattet sind, das heißt mit kinetisch kontrollierten Reaktionsnetzwerken. Diese Reaktionsnetzwerke steuern den Fluss von Energie- und Materie in ihren Systemen.

Durch Kommunikation Brücken bauen

Im Volksmund könnte man sagen, Laura Heinens Forschung leistet einen Beitrag „künstliche Zellen“ zu entwickeln. Doch – gerade hier – ist ihr der Gebrauch sensibler Sprache wichtig: „In vielen Menschen löst es Unbehagen aus, wenn wir von künstlichen Zellen sprechen. Ich möchte mit meiner Forschung dazu beitragen, das Leben in seinen Grundfesten zu verstehen. Es geht nicht darum, eine Art Herrschaft darüber zu erlangen“, macht sie deutlich.

Das Leben verstehen – Dies gelingt nur, wenn sich Menschen verschiedener wissenschaftlicher Felder zusammenschließen. In dem Zusammenhang wurde sie 2019 nach ihrer Promotion, die sie in Aachen begann und in Freiburg beendete, in den Niederlanden Teil des EU-Forschungsvorhabens oLife (The origin and evolution of Life in the universe). Denn: Zwar hat die Forschung der letzten Jahrzehnte dazu beigetragen, bestimmte Aspekte des Ursprungs des Lebens zu entschlüsseln, doch die Antworten sind bislang lückenhaft. Wie genau und wo das Leben entstanden ist, ist bis heute ein Rätsel.

Im Projekt oLife kommen Forschende einer Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen zusammen: unter anderem aus Molekularbiologie, Evolutionsökologie, Astrophysik und Biochemie. „Während meiner Zeit in den Niederlanden – das heißt sowohl als Postdoc in der Arbeitsgruppe von Bert Poolman als auch im oLife-Konsortium – habe ich gelernt, welche Barriere und zugleich Brücke Kommunikation sein kann. Dies war im Tagesgeschäft vor allem in der Zusammenarbeit mit meinen Laborkolleginnen und -kollegen eine wichtige Erfahrung. Häufig meinten wir aus Biologie oder Chemie kommend das gleiche, nutzten aber einen anderen Wortschatz. Dies festzustellen und dann eine gemeinsame Sprache zu finden, war eine Bereicherung von der ich heute sehr profitiere“, erklärt sie.

In der Zusammenarbeit mit vollkommen fremden Disziplinen habe Laura Heinen gelernt, einen Perspektivwechsel einzunehmen: Welche Informationen sind für mein Gegenüber essenziell? Wo hole ich meinen Zuhörenden ab und wo möchte ich mit ihm oder ihr auskommen? Wichtige weiche Kompetenzen, die sie auch durch oLife verinnerlicht hat und die ihr in der interdisziplinären Arbeit am DWI sicherlich zugutekommen werden.

Doch Wissenschaft und Wege der Kommunikation zu finden, sind nur eine Seite der Medaille. Die andere, um die Energiespeicher wieder aufzufüllen: die Natur. Laura Heinen ist gerne draußen, geht nach der Arbeit gerne eine Runde spazieren oder streift am Wochenende durch Wald und Wiesen. Und das nicht nur zu Fuß, sondern auch auf dem Rad oder auch mal gerne zu Wasser mit dem Kanu. Hier findet sie den passenden Ausgleich und bleibt so selbst im Gleichgewicht für ihre Forschungsthemen außerhalb des Gleichgewichts.

Mehr über das Forschungsfeld von Laura Heinen ist hier zu finden.

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