EXIST-Gründerstipendium für Amovion
Erfahrungen und Einblicke von Christian Linnartz
Ein Team des DWI – Leibniz-Institut für Interaktive Materialien und der Aachener Verfahrenstechnik (RWTH Aachen) will die Entsalzung von Wasser revolutionieren. Bei Entsalzung von Wasser denken wir schnell an die Gewinnung von Trinkwasser, doch es geht um viel mehr: Um die Rückgewinnung von Salzen als wertvolle Ressource, die in verschiedenen industriellen Anwendungen gebraucht werden und gleichzeitig als Abfallprodukt anfallen. Hier setzt die Amovion-Technologie an: Sie hat das Ziel, die Stoffkreisläufe von Salz und Wasser durch die sogenannte fließkapazitive Deionisierung (FCDI) zu schließen und Salze im Sinne der Kreislaufwirtschaft zurückzugewinnen.
Das Amovion-Gründerteam bestehend aus Niklas Köller, Max Zimmermann, Kerstin Brökelmann und Christian Linnartz erhält ab dem 1. Januar 2024 über 18 Monate eine Förderung von 820.000 EUR, um die Technologie weiterzuentwickeln und zur Marktreife zu bringen. Die Förderung erhalten sie im Rahmen des EXIST-Programms des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).
Amovion-Teammitglied Christian Linnartz (auf dem Gruppenbild links zu sehen), der seit Beginn an der Technologie arbeitet, berichtet von seinen Erfahrungen wie eine Innovation aus der Forschung ihren Weg in die Industrie finden kann, der Wichtigkeit von Patenten, der Zusammensetzung eines Gründungsteams und was er mit dem Wissen von heute womöglich anders gemacht hätte.
Kannst du uns eine kurze Zusammenfassung geben, wie eure Technologie entstanden ist und worum es genau geht?
Christian: In unserer Arbeitsgruppe (Matthias Wessling) hatten wir zwischen 2012 und 2015 einen israelischen Postdoc-Kollegen (Youri Gendel), der sich mit verschiedenen Themen der Elektrochemie befasst hat. Dazu gehörte auch die fließkapazitive Deionisierung. Dies ist ein Verfahren, bei dem sich durch Einwirkung eines elektrischen Feldes Salzionen aus einer wässrigen Lösung abtrennen lassen. In unserer Arbeitsgruppe wurde dann überlegt, wie unser Membran-Wissen zu neuen Erkenntnissen in dem Feld verhelfen könnte. Denn hier bestand damals wie heute ein hoher Bedarf neuer Technologien: In vielen Herstellungsprozessen und in der Landwirtschaft entstehen Abwasserströme mit hohen Salzgehalten. Um sowohl die Umweltbelastung zu verringern, als auch ressourcenschonend zu arbeiten, brauchen wir neue Verfahren zur Aufreinigung der Prozesswasser, die auch eine Rückgewinnung der gelösten Salze ermöglichen.
All dies mündete in der Masterarbeit meiner ehemaligen Kollegin Alexandra Rommerskirchen, deren erste Ergebnisse sehr vielversprechend waren. Ich habe kurze Zeit später begonnen, mit ihr an dem Projekt zu arbeiten. Einen wegweisenden Moment hatten wir dann 2018 auf einer Konferenz. In einem Keynote-Vortrag stellten wir die Ergebnisse des BMBF-Projekts „ElektroWirbel“ vor, wo wir Abwasserströme mit hoher Salzkonzentration untersucht haben. Damit hatten wir einen Nerv getroffen und haben vor allem aus der Industrie viel interessiertes Feedback bekommen, was sehr wichtig war. Mit dem Feedback der Konferenz haben wir dann überlegt, wie wir weitermachen möchten. Es gab großes Interesse mit uns in gemeinsamen Projekten zu arbeiten, was dann auch passiert ist. Die Technologieentwicklung nahm ihren Lauf, sodass wir heute von „Amovion“ sprechen können.
Welche Rolle spielten Patente für die Amovion-Technologie?
Christian: Eine sehr große. Mit dem Feedback der Konferenz in der Tasche haben wir uns schon mit den Ergebnissen der Masterarbeit von Alex an die Patentrecherche gemacht und die Technologie, Fließelektroden für die Entsalzung von Wasser zu nutzen, geschützt. Das war ein wichtiger Schritt für uns, im Verlaufe der letzten Jahre ist eine ganze Patentfamilie entstanden. Ist man vom Innovationscharakter seiner Forschung überzeugt, würde ich daher empfehlen, sich von Anfang an nicht nur mit wissenschaftlicher Literatur zu beschäftigen, sondern auch die Patentliteratur frühzeitig zu sichten. Viele machen dies erst zu einem Zeitpunkt, zu dem es unter Umständen bereits zu spät ist und der auch mit einem Fallstrick in der öffentlich geförderten Forschungswelt zu tun hat.
Kannst du genauer erklären, welchen Fallstrick du meinst?
Christian: Die Währung in der Wissenschaft sind Publikationen und der H-Faktor, der sich aus den Veröffentlichungen ergibt. Dazu kommt unsere Verpflichtung die Erkenntnisse, die wir in öffentlich geförderten Projekten gewinnen, allen zugänglich zu machen. Entsprechend sind Ehrgeiz und Motivation die Ergebnisse schnell in einem renommierten Journal zu veröffentlichen sehr groß. Habe ich aber die Überlegung, eine aus einem öffentlich geförderten Projekt hervorgegangene Technologie in ein Unternehmen zu überführen, steht die Veröffentlichung meines neu erlangten Wissens in einer Publikation dem aber im Weg. Denn: Einmal in einem Journal publiziert, ist meine Technologie nicht mehr patentierbar.
Wie lässt sich dieses Dilemma lösen?
Christian: Meiner Erfahrung nach ist es ein guter Weg, das Manuskript der Publikation zu schreiben und sich mit diesem zuerst an eine Patentanwaltskanzlei zu wenden. Das Manuskript ist dann Basis der Patentschrift. Damit bin ich den bestmöglichen Weg gegangen: Das Patent ist eingereicht, meine Technologie geschützt und ich kann dennoch zeitnah das Publikationsmanuskript einreichen beziehungsweise veröffentlichen. Außerdem habe ich die Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Bis zur erfolgreichen EXIST-Förderung seid ihr einen weiten Weg gegangen – Was rätst du Gründungsinteressierten von Beginn an?
Christian: Wenn man sich mit der Gründung eines Unternehmens beschäftigt, tauchen viele Themen auf, mit denen man in der akademischen Welt in der Regel bislang keine Berührungspunkte hatte. Dazu gehört vor allem das deutsche Steuerwesen abseits der Einkommensteuererklärung, wie die meisten von uns sie kennen. Es hat andere Regeln und eine andere Art zu rechnen als es zumindest wir Ingenieure gewohnt sind, aber es ist wichtig, sich damit auseinanderzusetzen.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Fokus und Einfachheit. Aus dem Kopf eines Wissenschaftlers heraus, der sich auf einem sehr abstrakten Level mit seiner Technologie beschäftigt, ist es häufig immens schwierig wieder so weit zurückzutreten, dass man erstens einen Fokus der Anwendung hat und zweitens allgemein verständlich erklären kann, wofür das eigentlich gut ist, was man da macht.
Daher rate ich: Such dir Leute, denen du vertraust und die einen Blick von außen auf dein Thema haben. Du musst ihre Meinung annehmen können, wenn sie mit deiner Antwort nicht zufrieden sind und dir zum 100sten Mal sagen „Erklär mir nochmal in einem Satz, was deine Technologie kann“. Denn wenn du mit potenziellen Partnern oder Kunden sprichst, musst du deine Technologie in einem Satz auf eine Art greifbar haben, die sofort den Mehrwert erkennen lässt. Das ist eine andere Herangehensweise als wir Wissenschaftler es gewohnt sind, wenn wir zum Beispiel einen Antrag für ein wissenschaftliches Projekt schreiben und dabei weit ausholen.
Als dritter und wichtigster Punkt: Das Team ist die oberste Maxime. Die Technologie kann noch so vielversprechend sein, aber wenn kein funktionierendes Team dahintersteht, besteht keine Chance. Ich habe viel Glück, denn unter anderem haben wir innerhalb unseres Teams Leute, die genau den richtigen Blick von außen einnehmen können.
Was würdest du wieder, was anders machen?
Ich würde wieder den Weg gehen aus dem DWI als Forschungsorganisation heraus zu gründen. Es ist nicht nur der Kreis von Technologie-Experten für den Austausch, die man um sich hat oder der Zugang zum Netzwerk möglicher Partner oder Firmen, den man bekommt. Auch die unkomplizierten Wege der Zusammenarbeit und die schnellen, kurzen Entscheidungswege sind extrem wertvoll. Es besteht eine große Offenheit, den Weg der Gründung zu gehen, wenn man diesen für sich sieht.
Hätte ich die Gelegenheit die Zeit zurückzudrehen, würde ich es früher machen. Wenn man bereits während des Masters eine gute Idee hat oder an einer weiter entwickelten Technologie arbeitet und für sich ausschließen kann, dass man eine wissenschaftliche Karriere anstrebt, würde ich die Gelegenheit nutzen, mich und die Technologie zu verwirklichen.