Andrij Pich mit seinem DWI-Team, das die Schalentier-basierten Mikrogele mit Antibiotika untersucht hat:  Laura Hetjens, Nadja Wolter und Xin Li (von rechts nach links).

Biobasierte Mikrogele mit therapeutischer Funktion

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des DWI – Leibniz-Instituts für Interaktive Materialien, der Zhejiang University of Technology und Donghua University haben mit Antibiotika beladene, bioabbaubare Mikrogele entwickelt. Die Ergebnisse machen Hoffnung, dass sich mit ihrer Hilfe in Zukunft die Therapie chronisch entzündlicher Darmerkrankungen verbessern lassen kann.

 

Transportcontainer auf Schalentier-Basis

Den Forscherinnen und Forschern aus der Arbeitsgruppe von Andrij Pich ist es zusammen mit Kollegen und Kolleginnen aus China gelungen, die Basis für ein zielgerichtetes Wirkstoffträger-System zur Behandlung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen zu entwickeln. Ausgangspunkt des Trägersystems sind sogenannte Mikrogele: Dies sind kleinste Partikel, die eine festgelegte Größe haben und sich mit Wirkstoffen beladen lassen. Die Mikrogele funktionieren somit wie kleine Transport-Container. In diesem Fall hat das Team das Antibiotikum Vancomycin in die Mikrogele eingebracht. Als Basis der Transportcontainer haben die Forschenden Chitosan verwendet. Chitosan ist ein natürlich vorkommendes Biopolymer, das sich aus Schalentieren wie Garnelen gewinnen lässt, und sich als ein vielversprechender Kandidat für neue Wirkstoffträger-Systeme in der Medizin herausgestellt hat.

Spezielle Anforderungen für die Anwendung im Darm

Damit die mit Antibiotika beladenen Chitosan-Mikrogele in Zukunft als Behandlungsmöglichkeit für entzündliche Darmerkrankungen in Erwägung gezogen werden können, müssen sie bestimmte Eigenschaften haben und Voraussetzungen erfüllen. Dazu gehört unter anderem, dass sie die Wirkstoffe präzise in der Region des Verdauungstraktes freisetzen, wo sie benötigt werden. Dies bedeutet, dass sie beispielsweise unbeschadet das saure Milieu im Magen durchqueren können und somit säurebeständig sein müssen. Außerdem sollten die Wirkstoffe nicht in gesunden Darmregionen freigesetzt werden, sondern nur in erkrankten Regionen, wo sie notwendig sind.

Nachahmung des entzündeten Darms im Reagenzglas

In ihren weiteren Experimenten untersuchten die Forschenden, ob und wie sich die Eigenschaften der Mikrogel-Partikel veränderten, wenn sie beispielsweise der nachgeahmten sauren Umgebung des Magens ausgesetzt werden. In einem weiteren Versuchsaufbau schauten sie sich an, wie sich die Chitosan-Mikrogelpartikel im simulierten Milieu eines entzündeten Darms verhielten. Das Besondere an dieser Umgebung: Im entzündeten Darm werden hohe Mengen von sogenanntem Lysozym ausgeschüttet. Dieser körpereigene Stoff wirkt antibakteriell und ist eine wichtige Komponente in der Abwehr bakterieller Infektionen.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Mikrogelpartikel bei niedrigem pH-Wert stabil bleiben. Dies deutet darauf hin, dass sie auch beim Durchwandern des sauren Magens intakt bleiben könnten. Außerdem beobachteten die Forschenden, dass das in den Partikeln eingeschlossene Antibiotikum in Anwesenheit von Lysozym sehr verlässlich freigesetzt wurde während aus Partikeln in einer Umgebung ohne Lysozym nahezu kein Vancomycin ausgetreten ist. Diese Ergebnisse liefern erste Hinweise darauf, dass die Mikrogelpartikel gesunde Darmabschnitte, in denen die Lysozymkonzentration normalerweise nicht so hoch ist, durchqueren könnten und erst in erkrankten Darmregionen die Wirkstoffe freigesetzt werden. Auch erste Versuche zur antibakteriellen Wirkung der Vancomycin-Mikrogelpartikel zeigten: Krankheitserreger des Bakterienstammes Staphylococcus aureus ließen sich mithilfe der Partikel abtöten. Abschließend untersuchte das Forscher-Team die Biokompatibilität der Mikrogelpartikel mithilfe eines Darm-Zell-Modells. Hier fanden sie in ersten Untersuchungen heraus, dass die Chitosan-Mikrogele eine zufriedenstellende Biokompatibilität aufweisen und als Wirkstoffträger in Betracht gezogen werden können. Die vielversprechenden Ergebnisse werden nun in weiteren Untersuchungen validiert.

Hoher Bedarf für neue Behandlungsmöglichkeiten

Entzündliche Darmerkrankungen gehören zu den am weitesten verbreiteten Erkrankungen weltweit. Sie sind mit vielen Komplikationen verbunden, die bei Betroffenen einen hohen Leidensdruck verursachen. Zu den gängigen Formen der Therapie gehören der Einsatz von Antibiotika und Immunsuppressiva, welche oral eingenommen werden. Damit die Wirkstoffe vorbei am Magen an ihren Wirkungsort (den entzündeten Darmregionen) gelangen, müssen Betroffene die Medikamente häufig in hoher Dosis einnehmen. Dies führt wiederum zu schwerwiegenden Nebenwirkungen, wie der Schädigung des nützlichen Mikrobioms und der Entstehung von Arzneimittelresistenzen.

Folglich besteht hoher Bedarf, für die Medizin Wirkstoff-Trägersysteme zu entwickeln, die zum einen den Magen und seine saure Umgebung unbeschädigt passieren und zum anderen in der betroffenen Region des Darms eine kontrollierte Freisetzung der Arzneimittel ermöglichen.

 

Hier gelangen Sie zu zur Originalveröffentlichung im Journal of Advanced Research.

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Andrij Pich mit seinem DWI-Doktorandenteam, das die mit Antibiotika beladenen Chitosan-basierten Mikrogele mit entwickelt und untersucht hat: Laura Hetjens, Nadja Wolter und Xin Li (von rechts nach links).

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